Im letzten Jahrhundert haben sich Umfang und Zusammensetzung der
niederländischen Bevölkerung stark verändert. Zwischen 1900 und
2000 stieg die Einwohnerzahl des Landes von 5 auf 16 Millionen.
Rund ein Zehntel davon sind Kinder im Grundschulalter (4 bis 12
Jahre).
In den Niederlanden haben viele Grundschulen einen religiösen oder
weltanschaulichen Hintergrund. So existieren neben den öffentlichen
Schulen beispielsweise protestantische, katholische, jüdische,
muslimische, hinduistische sowie humanistische und
anthroposophische Schulen. Der Lehrplan ist grundsätzlich an allen
Schulen gleich, lediglich der Religionsunterricht bzw.
weltanschauliche Unterricht sieht anders aus. Da die Religion auch
Auswirkungen auf Kleidung, Umgangsformen, Rituale und Feiertage
haben kann, sind Unterschiede zwischen den Schulen auch in dieser
Hinsicht durchaus möglich. Die Eltern entscheiden aufgrund ihrer
persönlichen Überzeugung, auf welche Schule sie ihr Kind
schicken.
Ein nach Lebensanschauung und Unterrichtsmethoden differenziertes
Schulwesen gab es bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die
Unterrichtsfreiheit war in der Verfassung verankert worden, nachdem
Katholiken und Protestanten in einem langwierigen Streit
durchgesetzt hatten, dass Konfessionsschulen mit öffentlichen
Schulen finanziell gleichgestellt werden, also dieselbe staatliche
Unterstützung erhalten. Dieser sogenannte "Schulstreit" war schon
lange beigelegt und durch die Säkularisierung beinahe in
Vergessenheit geraten, als er Ende der 1980er Jahre unvermittelt
durch die Gründung der ersten islamischen und hinduistischen
Grundschulen wieder ins Bewusstsein rückte. Die Gründung neuer
Schulen war eine Konsequenz der veränderten Bevölkerungsstruktur.
Nach 1945 wanderten viele Niederländer nach Australien, Kanada,
Südafrika oder in die USA aus; gleichzeitig kamen viele Menschen
aus der ehemaligen Kolonie Indonesien ins Land. Anfang der
sechziger Jahre wurden dann gezielt Gastarbeiter aus Italien,
Spanien, Jugoslawien, Marokko und der Türkei nach Holland geholt,
deren Familien nachfolgten. Außerdem gewährten die Niederlande, wie
viele andere europäische Länder auch, politischen Flüchtlingen
Asyl, und sie öffneten ihre Grenzen innerhalb Europas. So entstand
eine multikulturelle Gesellschaft.
1955 wurde in Den Haag die erste Moschee des Landes gebaut.
Mittlerweile gehört das Minarett längst zum vertrauten Stadtbild.
Wie das Christentum weist heute auch der Islam in den Niederlanden
eine große Bandbreite auf. Mit der Auseinandersetzung über die
Gründung islamischer Schulen ist eine Art neuer Schulstreit
entbrannt. Er reflektiert die leidenschaftlich geführte politische
Debatte über die Beziehungen zwischen Gesellschaft, Kultur und
Religion, die sich auf die verschiedensten Bereiche erstreckt: von
großen Themen der internationalen Politik bis hin zu konkreten
Alltagsproblemen. Immer wieder geht es dabei um die Frage, was
"niederländisch sein" eigentlich genau bedeutet. Sie wird von jeder
Generation neu beantwortet werden müssen, so auch von der heute
heranwachsenden Jugend.